Oder vielmehr hat es irgendwie nicht aufgehört, seit das Festival begonnen hat. Schien am Dienstag, am Tag meiner Anreise noch die Sonne, und es versprach, eine herrliche Woche zu werden, zog es ab Mittwoch zu, und die Wolken wollen irgendwie nicht verschwinden. Selbst gestern, als die Wettervorhersage durchaus akzeptables Wetter vorhergesagt hatte, stand ich Nachmittags in der Schlange zu meinem zweiten Wettbewerbsfilm im strömenden Regen. Kein Spaß, wenn man weiß, daß man danach in den nassen Klamotten zwei Stunden im Kinosaal sitzen darf. Irgendwie ist das verkehrte Welt. So kennt man Cannes gar nicht. Klar, es hat immer wieder in den vergangenen Jahren auch mal geregnet. Aber nach einer oder zwei Stunden war das meist vorbei, und man konnte wieder im T-Shirt rumlaufen und sich die Sonne auf die Nase scheinen lassen. Letztes Jahr war es dann erstmals richtig schlecht. So schlecht, daß einer der Kinosäle, der in einem gigantischen Zelt auf dem Dach des Festivalpalais' untergebracht ist, gar für einen Tag gesperrt werden mußte, da er im wahrsten Sinne des Wortes abgesoffen war. Bewundernswert, daß man dies dem Saal am nächsten Tag gar nicht mehr angesehen hatte. Nach dem Festival 2012 dachten wir alle: "Schlimmer kann es eigentlich gar nicht werden." (zumindest wettertechnisch), doch das Leben zeigt wieder einmal: "Schlimmer geht immer."
War das Wetter die letzten Tage noch eher so durchwachsen und man konnte sich zeitweise sogar ohne Regenjacke oder Schirm auf die Straße wagen (einige Leute behaupten sogar, gestern sei es großartig gewesen, die haben den wilden Schauer am Nachmittag einfach in irgendeinem Kinosaal verschlafen), hat der Himmel heute Nacht seine Schleusen aufgemacht, und man kann sich eigentlich nur komplett in Regenzeug vermummt auf die Straße wagen. Keine Besserung absehbar.
Ganz im Gegensatz dazu habe ich heute morgen dafür einen richtig guten Wettbewerbsfilm gesehen: Like father, like son (bzw. Soshite chichi ni naru, wie der japanische Originaltitel lautet) von Hirokazu Kore-Eda, dessen Nobody Knows mir hier in Cannes vor einigen Jahren auch schon extrem positiv aufgefallen war. In seinem neuesten Film behandelt er eine sehr tragische Geschichte zweier Jungen, die als Babys im Krankenhaus vertauscht wurden. Als die Kinder sechs Jahre alt sind, erfahren die Eltern von dem Vorfall, und es wird ihnen nahegelegt, die Kinder langsam mit ihren richtigen Eltern vertraut zu machen, damit diese langfristig in ihre eigentlichen Familien umziehen können. Daß man Kinder, die man sechs Jahre lang für die eigenen gehalten, geliebt und aufgezogen hat, aber nicht einfach so weggibt und gegen andere eintauscht, ist irgendwie klar. Doch wie umgehen mit der Situation? Ist Blut nicht doch dicker als Wasser? Kore-Eda zeigt in ruhigen, fast melancholischen Bildern, welche die Hin- und Hergerissenheit der Eltern fast körperlich spürbar machen, die Probleme, die sich auftun, die Gewissensbisse, mit denen insbesondere die Mütter zu leben haben ("Du bist die Mutter, hättest Du das nicht merken müssen?") und die Abgründe, welchen sich insbesondere einer der Väter gegenübersieht, als er merkt, daß sein "Konkurrent" bei beiden Jungs besser ankommt als er selber.
Hatte Kore-Eda bereits in Nobody Knows gezeigt, daß langsame, ruhige Filme keineswegs langweilig und langatmig sein müssen, sondern es auch mit einer ruhigen Erzählweise zu schaffen ist, sein Publikum bis zur letzten Minute zu fesseln, ganz ohne Actionszenen, große Dramen oder Druck auf die Tränendrüsen, beweist er auch in diesem Film, daß ein großartiger Film keine lauten Töne benötigt. Mein definitives Fazit: Ansehen!
AP