Kleines Resümee -- Teil 1

Kleines Resümee -- Teil 1

Das Festival neigt sich dem Ende zu, der Markt ist quasi geschlossen, Zeit für ein kleines Resümée. Bisher liefen von den insgesamt 20 Wettbewerbsfilmen 16, vier werden noch morgen und übermorgen zu sehen sein. Von den 16 bisher gezeigten Filmen habe ich genau die Hälfte, also acht Stück gesehen. Das ist relativ viel, denn normalerweise komme ich insgesamt nur so auf rund acht bis zehn Wettbewerbsfilme jedes Jahr. Nun werde ich aber morgen auf jeden Fall noch einen weiteren sehen (die Einladung habe ich schon) und male mir gute Chancen aus, auch für Only Lovers left alive von Jim Jarmush eine Karte zu ergattern. Dann hätte ich vor dem Abschlußtag bereits zehn der zwanzig Wettbewerbsfilme gesehen. Und da am letzten Tag noch einmal alle Wettbewerbsfilme wiederholt werden, lassen sich dann auch noch einmal -- je nach Zeitplan -- drei bis vier verpaßte Filme nachholen, bevor dann Abends die Preise vergeben werden.

Zu den acht bisher gesehenen Filmen: So richtig in Begeisterungsstürme ausgebrochen bin ich bei keinem, aber es gab doch dreii, die mir gut gefallen haben und einen, den ich zwar für einigermaßen bellanglos aber witzig und unterhaltsam fand. Und so richtig schlecht war nur einer. Aber der Reihe nach.

Der erste Wettbewerbsfilm, den ich letzte Woche Donnerstag gesehen habe, war François Ozons Jeune & Jolie. Der Film behandelt die Geschichte der siebzehnjährigen Isabelle, die sich im Sommerurlaub mit der Familie von einem deutschen entjungfern läßt und nach ihrer Rückkehr beschließt, sich zu prostituieren. Über die Beweggründe erfährt der Zuschauer nichts. Man erahnt nur, daß sie Bestätigung sucht, sich erwachsen fühlen oder einfach gegen ihr Elternhaus rebellieren möchte. Irgendwann kommt es natürlich, wie es kommen muß, und ihre Familie erfährt, was sie tut. Doch auch hier verschenkt Ozon Potential, denn irgendwie kommt es auch hier nicht zur Aussprache oder zum Eklat. Es leben einfach alle weiter vor sich hin, ohne zueinander zu finden, sich auszusprechen oder ohne daß es eben zur Explosion kommt. So läßt einen dieses Werk auch ein wenig ratlos zurück, und man denkt an die in Frankreich schon fast obligatorische Kombination "alter Mann dreht mit jungem Mädchen". Doch von Ozon hätte man das so nicht erwartet, denn zum einen ist er noch nicht so alt, und zum anderen ist er bekanntermaßen schwul, was ja eigentlich eher gegen diese Interpretation sprechen sollte. Dennoch ist Jeune & Jolie kein schlechter Film. Das liegt vor allem an der tollen Darstellerin der Isabelle, Marine Vacth, die das junge Mädchen überzeugend darstellt. Sicher einer der schwächeren Ozons, aber durchaus sehenswert.

Zweiter Film in der Reihe war Le passé von Berlinale-Gewinner Asghar Farhadi, mit dessen Siegerfilm Nader & Simin ich zugegebenermaßen nicht allzuviel anfangen konnte. Sein aktueller Film gefällt mir besser. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der aus dem Iran zu seiner Noch-Ehefrau nach Frankreich reist, um die Scheidungspapiere zu unterschreiben. Seine Frau Marie (Bérénice Bejo, Hauptdarstellerin von The Artist) lebt mittlerweile mit ihrem neuen Lebensgefährten und dessen kleinem Sohn zusammen. Samirs Erscheinen bringt das ganze, gut funktionierende Gefüge durcheinander. Nach und nach kommen die ganzen Leichen hervor, die jede der beteiligten Personen im Keller hat. Ich fand Le passé deutlich tiefgründiger als Nader & Simin und mochte diese sehenswerte Psychostudie durchaus, auch wenn ich sie nicht auf dem Platz der Palme sehen würde.

Film drei war der in unserem Gespräch mit Maike ja schon erwähnte Japaner Soshite chichi ni naru (Like father, like son) von Hirokazu Kore-Eda. Dieser Film kam bei den Kritikern zwar eher durchschnittlich gut an, mir hat er aber gut gefallen, und er zählt für mich zu den drei oben erwähnten bisher besten Filmen des Wettbewerbs. Es geht um zwei sechsjährige Jungen, die bei ihrer Geburt im Krankenhaus vertauscht wurden. Jedes Kind wächst in einer Familie auf, die eigentlich nicht die seine ist. Als die Kinder eben sechs Jahre alt sind, erfahren die Eltern von dem Fehler und müssen sich entscheiden, ob die Kinder in den Familien bleiben, in denen sie aufgewachsen sind, oder ob sie doch zu ihren leiblichen Eltern kommen. Dazu lernen sich die Familein, die Kinder kennen, die Jungen verbringen einige Zeit in der jeweils anderen Familie, damit sie am Ende ganz dort bleiben. Die Geschichte wird hauptsächlich aus dem Blickwinkel einer der beiden Familien gezeigt, und die andere wird vielleicht ein wenig zu klischeehaft dargestellt, aber ich fand den Film großartig beobachtet, die Zweifel und Fragen der Eltern gut dargestellt. Ein Film, den ihr euch auf jeden Fall ansehen solltet, sollte er nach Deutschland ins Kino kommen.