Am Rande des Treffens mit seinem Freund Xi Jinping in Moskau hat der russische Präsident Wladimir Putin behauptet, der Westen liefere der Ukraine Waffen mit einer „nuklearen Komponente“. Nach Medienberichten drohte Putin mit einer „entsprechenden“ Antwort. Vorher hatte sich sein Verteidigungs(Angriffs)minister Sergej Shoigu ähnlich geäußert. Werden nun nach Panzern, den (uralten) Flugzeugen aus Polen als nächstes sogar Atomwaffen in die Ukraine geliefert?
Auf eine Frage im britischen Oberhaus hatte eine Vertreterin der Regierung am Montag gesagt, dass Großbritannien die 14 Challenger 2 Panzer, die Großbritannien in die Ukraine liefert, neben anderer Munition auch mit Uranmunition ausrüsten werde. Beim Stichwort „Uran“ denken alle rasch an Atomwaffen und das macht sich Putin zu nutze. Nun ist der Einsatz von Uranmunition zwar durchaus umstritten, aber nicht weil er irgendetwas mit Kernspaltung zu tun hätte.
Es handelt sich um die Verwendung von abgereichertem Uran, das unter anderem bei der Herstellung von Brennstäben für Kernkraftwerke und der Herstellung von Atomwaffen anfällt. Es ist also der Teil des eingesetzten Urans, den man bei der Herstellung von Atomwaffen nicht verwenden kann, der aber als selbst unnützes und daher relativ billiges Abfallprodukt anfällt. Die Radioaktivität ist geringer als die von Natururan, sie ist aber immer vorhanden.
Der Hauptgrund für die Verwendung von Uran in Geschossen ist seine extreme Dichte. Ein Geschoss mit der gleichen Geschwindigkeit und dem gleichen Volumen wie eines aus Blei oder gar Eisen hat daher wesentlich mehr kinetische Energie mit der es auftrifft. Dringt ein Stab aus Uran in ein anderes Metall ein, so spitzt sich das Uran selbst zu und dringt auch deshalb besser ein. Es wird aber auch Uranstaub abgerieben, der sich durch die beim Aufprall entstandene Hitze leicht entzündet und zum Beispiel Dieselkraftstoff entzünden kann.
Dieser Uranstaub ist zugleich das Problem um das es geht. Uran ist ein recht schwacher und damit auch langlebiger Alphastrahler. Alphastrahlen sind von außerhalb des Körpers ziemlich ungefährlich, weil die Alphateilchen die äußere Hautschicht nicht durchdringen können. Wenn man aber Uranstaub einatmet oder mit der Nahrung aufnimmt, ist er sehr gefährlich. Ob es eine untere Grenze gibt, ab der der Körper mit der Strahlenbelastung besser zurechtkommt, ist Gegenstand einer weitgehend spekulativen wissenschaftlichen Debatte. Nachdem die USA vor allem im Irakkrieg Uranmunition eingesetzt haben, gab es eine lange Diskussion über die Folgen (daher hat der Autor auch seine Kenntnis der Materie).
Unstrittig ist, dass die Strahlungsbelastung durch Uranmunition mit der Belastung durch einen Reaktorunfall oder dem Einsatz einer Atombombe nicht zu vergleichen ist. Sowohl die Weltgesundheitsorganisation als auch die Internationale Atomenergiebehörde stehen auf dem Standpunkt, dass eine Gesundheitsgefährdung durch abgereichertes Uran nicht nachgewiesen sei. Das ist aber umstritten. Es gibt insbesondere eine Studie aus Falludscha in Irak, die eine erhöhte Rate von Kindersterblichkeit und Krebs zwischen 2005 und 2010, also einige Jahre nach dem Krieg zeigt. In der Studie heißt es über mögliche Gründe: “we have drawn attention to the use of depleted uranium as one potential relevant exposure, there may be other possibilities”.siehe hier
Der Schluss kann eigentlich nur sein, dass es zwar keinen hundertprozentigen Beweis für die Langzeitgefährdung durch Uran-Munition gibt, dass es aber besser wäre, sie erst gar nicht einzusetzen. Das könnte den Strategen um so leichter fallen, als es auch eine Alternative gibt. Die Bundeswehr verwendet statt Uran Wolframcarbid. Wolframcarbid liegt bei der Dichte zwischen Blei und Uran, ist aber fast so hart wie Diamant. Wenn es nur darum geht, Panzerungen zu durchdringen, sind beide Materialien fast gleich gut. Doch als Abfallprodukt ist abgereichertes Uran nun mal billiger.
Eine ganz andere Frage wäre noch zu stellen, nämlich ob Uranmunition in der Ukraine nicht ohnehin längst verwendet wird. Zu den relativ vielen Staaten, die Uranmunition besitzen sollen, gehört auch Russland, das wegen seiner Atomwaffen auch über sehr viel abgereichertes Uran verfügen muss. Da die Ukraine viel militärisches Material von der Sowjetunion übernommen hat, dürfte sie ebenfalls Uranmunition besitzen. So wie beide Seiten derzeit ihre Arsenale plündern, ist es sehr wahrscheinlich, dass russische und ukrainische Panzer bereits mit Uranmunition aufeinander schießen. Putin treibt nur wieder das Spiel mit der Angst und setzt darauf, dass der Ausdruck "nukleare Komponente" nach Atomwaffen klingt, die Bedeutung aber im Grunde offen bleibt.
jk
Update: laut einer Meldung RND vom 25. 3. hat Putin erklärt, Russland habe "hunderttausende" Geschosse mit Uran, diese aber bisher nicht eingesetzt. Er hätte ohne den Zusatz, dass Russland sie nicht eingesetzt hat, seine eigene scharfe Kritik an Großbritannien ad absurdum geführt. Man kann ziemlich sicher davon ausgehen, dass russische Panzer in der Ukraine gegen feindliche Panzer genau diese Munition auch einsetzen. Das soll nicht heißen, dass es unbedenklich ist, wenn andere die gleiche Munition ebenfalls einsetzen.