Verschwörungstheorie kolportiert auf Radio Dreyeckland

Verschwörungstheorie kolportiert auf Radio Dreyeckland

In einem Interview, das von Radio Dreyeckland am vergangenen Mittwoch, also buchstäblich am Vorabend des Angriffs auf die Ukraine ausgestrahlt wurde, hat Winfried Cordi, Mitglied des Freiburger Friedens-Forums, DFG-VK die Position der russischen Regierung sehr einfühlsam dargestellt, begleitet nur von einer formellen Verurteilung gerade stattfindender Völkerrechtsbrüche. Das Interview und seine Darstellung auf der Webseite wurde intern heftig kritisiert. Aus der russischen Redaktion kam die Forderung, den Beitrag sofort von der Webseite zu nehmen, was aber nicht geschehen ist.

               Radio Dreyeckland ist ein redaktionelles Medium und kein offener Kanal. Zumindest die unkommentierte Weitergabe von Verschwörungstheorien sollte es auf Radio Dreyeckland nicht geben. Mindestens eine solche wurde in dem Interview kolportiert, wenn auch nicht gleich erkannt. Dazu ein Faktencheck:

               Cordi spricht vom „Putsch 2014“, was ich in „Maidan-Revolution“ übersetzen möchte. Dann kommt die speziellere Verschwörungstheorie:

 

„und dieser Putsch ist ja bis zum heutigen Tage auch nicht aufgearbeitet. Es wurde gesagt, dass die damalige Janukowytsch-Regierung die Maidan-Verbrechen begangen hat, das ist ja bis zum heutigen Tag - obwohl die neuen Machthaber die Möglichkeit gehabt haben - juristisch nicht aufgearbeitet. Es gibt ja Stimmen, die sagen, dass diese Opfer, die damals bei einer Demonstration von Scharfschützen erschossen wurden, nicht von der Regierung, sondern sogar von der Rebellenseite, von den Maidan-Leuten, von rechten Freischärlern gemacht wurden.“

 

               Diese Verschwörungstheorie hat eine sehr prominente Quelle, die bei seriösem Herangehen zu benennen wäre. Sie stammt nämlich aus dem Mund des russischen Präsidenten Wladimir Putin.   Die von Putin als Spekulation in die Welt gesetzte Geschichte wurde von Russia Today am folgenden Tag aufgegriffen und mit einem abgehörten Telefonat zwischen dem Außenminister Estlands, Urmas Paet und der EU-Kommissarin Catherine Ashton belegt. In dem Telefonat berichtet Paet von dem Gespräch mit einer Ärztin „Olga“ (einwandfrei identifizierbar als Olha Bohomolez, bzw. in russischer Namensform Olga Bogomoletz), wonach Schüsse auf Demonstrationsteilnehmer*innen und Polizisten von den gleichen Leuten abgegeben wurden. Bohomolez dementierte später gegenüber der Zeitung Telegraph, diese Aussagen gemacht zu haben. Sie hätte garkeinen Zugang zu Verwundeten auf der Regierungsseite gehabt.

               So schockierend das Faktum auch scheint, selbst wenn es stimmt beweist es nichts. Wenn man Leuten auf der Seite des Maidan zutraut, auch auf die eigenen Leute zu schießen, um das politisch auszuschlachten, dann kann man das dem Staatsapparat auch zutrauen.

 Quelle:

               Insgesamt starben während der Auseinandersetzungen um den Maidan über 100 Menschen, davon je nach Quelle 13 bis 16 Polizisten. Nicht alle Getöteten wurden von Scharfschützen erschossen.

               Nun baut Cordi im Stil von RT (Russia Today) einen Pseudobeweis ein, der überzeugend klingt, aber in sich zusammenfällt, wenn man der Sache nachgeht:

Als Beleg dient der Umstand der fehlenden juristischen Aufarbeitung. Wir sollen denken, dass da etwas wohlweislich im Dunkeln gelassen wird.

Zumindest den Versuch einer juristischen Aufarbeitung hat es aber gegeben. In ihrer Ausgabe vom 5. Mai 2017 berichtet die Neue Zürcher Zeitung von einem Verfahren gegen Mitglieder der zu diesem Zeitpunkt aufgelösten ukrainischen Spezialeinheit Berkut wegen der Morde auf dem Maidan. Das Bezirksgericht schlage sich seit Monaten damit herum, „wobei immer wieder Angeklagte oder Zeugen abhandenkommen“. Laut der Zeitung haben sich von 26 Mitgliedern der Spezialeinheit Berkut, die wegen Morden an 48 Demonstrant*innen angeklagt sind, 20 nach Russland abgesetzt. Bei den fehlenden Zeugen ist es zumindest naheliegend, ebenfalls an ehemalige Mitglieder der Berkut zu denken, die sich nach Russland abgesetzt haben.

Quelle:

Die juristische Aufarbeitung scheiterte also nicht unbedingt am mangelnden Willen der neuen Regierung, sondern nachvollziehbar daran, dass sich die meisten Angeklagten nach Russland absetzen konnten. Da kann man mangelndes Interesse an Aufklärung eher bei der russischen Regierung sehen.

 

Radio Dreyeckland hat Winfried Cordi angerufen und mit den Vorwürfen, dass er die Quelle der Behauptung nicht angegeben habe und dass er verschweige, dass es den Versuch einer gerichtlichen Aufarbeitung gab, konfrontiert. Herr Cordi berief sich auf eine Monitorsendung und darauf, dass er spontan gesprochen habe. Zum zweiten Punkt sagte er, dass er nicht an die Unabhängigkeit der ukrainischen Justiz glaube und führte als Beispiel das Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko an. Poroschenko werden Geschäfte mit Kohle aus Rebellengebieten vorgeworfen. Es besteht der Verdacht, dass das Verfahren politisch motiviert ist. Cordi bat darum, dass ihm die gesamte Nachricht vor Veröffentlichung schriftlich vorgelegt werde. Aus der Erfahrung heraus, dass solche Vorlagen zu langen Verzögerungen führen und weil ihm die wesentlichen Kritikpunkte mündlich mitgeteilt wurden, hat der Redakteur diesem Wunsch nicht entsprochen.

jk