" Es ist bedenklich, wie engstirnig manche Kommunalpolitiker Flucht und Migration politisch einstufen und ihre Politik ausschließlich im Abbau von Grund- und Menschenrechten verorten." So beurteilt die Kampagne "Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen", das am 28. 10. zur Demonstration in Freiburg aufruft, eine Resolution des Baden-Württembergischen Landkreistag mit dem Titel "Geflüchtetenaufnahme steuern, begrenzen und
auskömmlich finanzieren".
Der Landkreistag forderte darin bereits im Juli 2023 nicht nur weitergehende Kostenerstattungen vom Bund an die Kreise, Städte und Gemeinden, sondern auch eine Reihe von Maßnahmen, die "Fluchtmigration" nach Deutschland reduzieren sollen. So sollen nach dem Willen der Kreisrät*innen die Beschlüsse zum "Gemeinsamen Europäischen Asylsystem" rasch und vollständig umgesetzt werden (die eine weitere Abschottung der europäischen Außengrenzen vorsehen), der "rechtliche Rahmen der Schutzgewährung in Europa und Deutschland" soll darauf geprüft werden, "ob er den aktuellen Herausforderungen noch Rechnung trägt" (sprich das Recht auf Asyl soll hinterfragt werden), die Sozialleistungen sollen auf ein "europaweit harmonisiertes Niveau" gesenkt werden, ukrainische Flüchtlinge sollen ebenfalls dem Asylbewerberleistungsgesetz unterworfen werden, neben Sprachangeboten soll eine verstärkte Pflicht zur Annahme "auch gemeinnütziger" Arbeiten eingeführt werden (schon jetzt gibt es verpflichtende 80-Cent-Jobs), die Standards zur Aufnahme, Unterbringung und Betreuung - auch von "älteren unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen" sollen "ggf. gesenkt" werden. Der baden-württembergische Landkreistag liegt damit auf einer Linie mit dem übergeordneten Verband, dem deutschen Landkreistag, der zudem direkt u.a. Grenzmauern um Europa und Transitzentren an den Außengrenzen fordert.
Die Kampagne "Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen" konstatiert in ihrem offenen Brief: "Mit
Ihrer Resolution führen Sie diese ausgrenzende Migrations- und Aufnahmepolitik [seit den 1980er Jahren] nicht nur fort, sondern fallen hinter geltende menschen- und grundrechtliche Standards zurück." Das Bündnis weist darauf hin, dass der Mangel an bezahlbarem Wohnraum nicht wie vom Landkreisrat suggeriert durch Flüchtlinge hervorgerufen wurde, sondern durch die jahrelange Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus - Änliches gelte für das vom Landkreistag ebenfalls in Stellung gebrachte Bildungs- und Gesundheitssystem.
Einen Schwerpunkt legt die Kampagne auf die Kritik an den Forderungen nach Absenkung der Leistungen. Dies sei nicht nur pragmatisch falsch - so sei es erfolgreich und auch für die Kommunen günstiger gewesen, dass die ukrainischen Geflüchteten ausnahmsweise eben nicht dem Regime des Asylbewerberleistungsgesetz unterworfen wurden. Die Forderungen des Landkreistages verstießen auch schlicht gegen geltendes Recht u. a. nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Grundgesetz. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz, wonach "die Menschenwürde aus migrationspolitischen Gründen nicht relativierbar" ist, werde mit den Forderungen konterkariert. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 festgestellt: "Auch migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen."
"Wir verurteilen die erhobenen Forderungen aufs schärfste. Insbesondere an der Forderung nach
einer weiteren Absenkung von Standards zeigen sich die rassistischen Grausamkeiten einer
allein auf Abschreckung setzenden Migrations- und Aufnahmepolitik", so die Kampagne Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen in ihrem Fazit.
Durchgesetzt hat sich aber die Linie des Landkreistages. Bekanntlich will die Bundesregierung mit ihrem Asylpaket genau solche Forderungen umsetzen. Dies, obwohl kürzlich erst die Wahlen in Hessen und Bayern einmal mehr gezeigt haben sollten, dass der Erfolg der AfD sich nicht dadurch bremsen lässt, dass andere Parteien ihrem rassistischen Kurs nacheifern.
Wir haben aus Anlass der aktuellen Debatte um Migration, Faesers aktuelles "Rückführungsverbesserungsgesetz" und des 30. Jahrestages des Inkrafttretens des Asylbewerberleistungsgesetz beim Landkreistag Baden-Württemberg jenseits von dessen markigen Forderungen einige sachliche Informationen zu dessen Positionen erfragt. Der Landkreistag scheint demnach ganz auf die europäische und auch nationale Abschottung zu setzen. So wird auf die Frage hin, ob ein anderer Schlüssel zur Verteilung von Geflüchteten unter den einzelnen Kreisen und Kommunen sinnvoll wäre, das Problem auf die europäische Ebene verschoben: Ganz Frankreich habe weitaus weniger ukrainische Geflüchtete aufgenommen als allein Baden-Württemberg. Auch bei den Sozialstandards zeigt der Landkreistag auf das Nachbarland und besteht darauf, dass die Absenkung der Leistungen zu einer Verringerung der Immigration führen würde. Er verteidigt die Wohnsitzauflage in Sammelunterkünften (Geflüchtete dürfen nur im ihnen zugeteilten Landkreis wohnen, oft in Flüchtlingslagern, auch wenn sie anderswo z. B. bei Verwandten privat unterkommen könnten) als "wichtiges Instrument für eine gelingende Integration". Auf die Frage, warum die Kreise und Kommunen in den letzten 20 Jahren nicht den europäischen Verpflichtungen entsprechend ausreichende Unterbringungskapazitäten geschaffen haben (selbst nach 2015 wurden Unterkünfte vielfach wieder rückgebaut, statt sie aus einem provisorischen Stadium hinaus in eine nachhaltige Form zu bringen), weist der Landkreisrat die Verantwortung von sich: Dies sei eine staatliche Aufgabe und damit mit dem Land zu erörtern. "Wie ist Ihre Position zum derzeit geltenden individuellen Recht auf Asyl?" wollte RDL außerdem wissen. Beim entsprechenden Artikel 16a Grundgesetz "sehen wir aktuell in Deutschland keine politische Mehrheit, um diese Bestimmung zu verändern." Will wohl heißen: Wenn es diese Mehrheit eines Tages gibt - die Landrät*innen von Baden-Württemberg werden das Grundrecht jede*r Einzelnen auf individuelle Prüfung der Asylgründe nicht verteidigen.