Deutsche Argumente, deutsche Interessen

Kommentare & Glossen bei Radio Dreyeckland (alle zeigen)

Deutsche Argumente, deutsche Interessen

Als die Russland-Ukraine-Krise mit dem Aufmarsch Russlands rund um die Ukraine hochzukochen begann, reagierte Kanzler Scholz mit einem mächtigen Schweigen, vor allem zu Nord Stream 2. Außerdem wurde das Mantra beschworen, dass Deutschland keine Waffen liefern wird, auch keine Defensivwaffen. Man liefere ja ohnehin keine Waffen in Krisengebiete. Wie gut, dass das im Jemen vermutlich kaum jemand gehört hat. Daneben gab es eine Reihe weiterer Argumente. Vor allem Außenministerin Annalena Baerbock bemühte die „deutsche Schuld“. Nun hat Deutschland ja tatsächlich die Sowjetunion überfallen und mit einem furchtbaren Krieg überzogen, doch das schloss ja die Ukraine mit ein, die mit am meisten gelitten hat. Nachdem das ein paarmal wiederholt worden war, tauchte das Argument von der „deutschen Schuld“ nichtmehr auf. Es kam das diplomatische Argument, man wolle „Gesprächskanäle offenhalten“. Die Formulierung tauchte schon nach der Besetzung der Krim auf. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat es nicht verhindert und den Krieg im Donbass auch nicht. Zweitens war auch von verschiedenen Seiten immer wieder zu hören, man solle nicht durch Waffenlieferungen „Öl ins Feuer gießen“.

            Beides sind nachvollziehbare Argumente, wenn sich auch herausgestellt hat, dass sie auf einer naiven Sicht des Konfliktes beruhten. Außerdem wurde auf diese Weise auch ein Signal an Russland gesendet. Wenn Deutschland die Vermeidung von Zornesfalten auf der Stirn des Kremlherrn für den Angelpunkt der Politik hält, dann kann man unbesorgt weiter sein Spielchen treiben.

Da der internationale Druck größer wurde, auch weil Deutschland nicht nur selbst keine Waffen lieferte, sondern auch die Lieferungen anderer Länder ver- bzw. behinderte, entschloss sich Berlin schließlich zur Lieferung von 5000 Helmen. (Es bedurfte dann noch etwas des Drucks weiterer Ereignisse, bis die Helme am Freitag auf zwei Lastwagen geladen wurden. Wegen des Krieges sollen die Lastwagen aber nicht in die Ukraine fahren. Ob es der stählerne Kopfschutz schließlich noch über die Grenze schafft ist ungewiss.)

            Vier Tage nach dem Ende der Olympischen Winterspiele schritt Putin zur vollen Offensive. Deutschland bleibt dabei, keine „letalen Waffen“ an die Ukraine zu liefern. Das „letal“ könnte man auch weglassen, denn die Helme sind ja auch nicht angekommen. Dabei sind alle bisher genannten Argumente hinfällig. Durch Wohlverhalten offengehaltene „Gesprächskanäle“ haben sich als wertlos erwiesen, sofern Putin nicht mit Scheinverhandlungen und Scheinrückzügen gerade die Zeit überbrücken will, bis der wichtige Xi mit seinen Winterspielen fertig ist. Das Feuer wird auch nicht durch diese oder jene Handlung Dritter genährt, sondern Putin schürt es nach Belieben.

Natürlich kann man noch immer Argumente gegen Waffenlieferungen an die Ukraine anführen. Zum Beispiel, dass die Ukraine den ihr aufgezwungenen Krieg gegen eine Supermacht auch mit ein paar Waffen von Rheinmetall nicht gewinnen kann und diese daher das Blutvergießen höchstens verlängern. Möchte ich jetzt nicht drüber urteilen.

Wir haben ja auch eine Bundesregierung, die in ihrer Weisheit, ihrem Geschichtsbewusstsein und ihrer moralischen Integrität in diesem Konflikt ihresgleichen sucht. Oder nicht? Dann kommen wir mal zu den Sanktionsmaßnahmen.

Scholz hat die Zertifizierung von Nord Stream 2 ausgesetzt. Es wäre aber politisch auch kaum noch möglich gewesen, damit einfach fortzufahren. Das hätte zu einem schweren Zerwürfnis mit den USA geführt und wäre überhaupt ein außenpolitisches Desaster ersten Ranges geworden. Gregor Gysi hat für den Stopp von Nordstream 2 die Bundesregierung im Bundestag hart geziehen, weil die USA weiter Öl aus Russland importieren. Also in etwa so: „Wir Deutschen opfern uns und die USA macht weiter Geschäfte!“ Ein interessantes Argument, denn Deutschland tut genau das gleiche. Der Stopp der Zertifizierung von Nord Stream 2 hat keinen Einfluss auf den Import von Gas und Öl aus Russland. Ersteres durch Nord Stream 1, eine Pipeline deren Grund übrigens auch der SPD-Politiker Gerhard Schröder gelegt hat, wie Putin erst vor Tagen wieder lobend erwähnt hat. Gefüllt ist Nord Stream 1 derzeit nur zu 30 %. Der vorläufige, vielleicht endgültige Stopp von Nord Stream 2 ist zwar richtig, eine Heldentat der Bundesregierung ist es jedoch eher nicht.

Eine Sperrung des deutschen Luftraums für russische Verkehrsflugzeuge, wie sie Großbritannien verfügt hat? Bei Scholz kein Thema. Aber vor allem steht die Bundesregierung beim schärfsten derzeit diskutierten Sanktionsinstrument mit beiden Füßen auf der Bremse. Scholz weigert sich, Russland vom Zahlungssystem der Banken, Swift abzuhängen und wird dabei in der EU nur von Italien, Ungarn und Zypern unterstützt. Natürlich nur weil er wie ein Schachspieler strategisch denkt und für einen schlimmeren Fall noch etwas im Ärmel haben möchte. Was Putin denn noch machen müsste, damit Scholz wirklich hart reagiert, bleibt Scholzens Geheimnis.

Andere können sich dieses zugegeben heftige Sanktionsinstrument durchaus vorstellen. Der frühere Präsident des EU-Rates und jetzige polnische Oppositionsführer Donald Tusk hat diese Blockadehaltung als „Schande“ bezeichnet. Wo Tusk Recht hat, hat er Recht.

Mit Blick auf die Blockadehaltung bei den Sanktionen schwindet der Glaube an die tief moralischen Beweggründe der Bundesregierung bei den Waffenexporten. Es sieht eher so aus, dass Scholz und seine Berater (ist Herr Schröder direkt oder indirekt dabei?) davon ausgehen, dass der Ukraine ohnehin nicht zu helfen sei und dass man dann mit Putin möglichst bald wieder ins Geschäft kommen will. Das wäre nicht nur schäbig, sondern unter Umständen auch sehr kurzsichtig. Diese Krise zieht nicht wie ein leichter Regenschauer vorbei und nachher kann man wieder Geld verdienen.

jk

PS: es war eher Habeck als Scholz, der Nord Stream 2 abgehängt hat. Habeck fand den technischen Trick mit dem die Pipeline wohl ohne Vertragsstrafe auf Eis gelegt werden kann und von ihm  ging auch die Initiative aus. Scholz hat dem allerdings zugestimmt.