Ab 2030 soll das Renteneintrittsalter in Frankreich von 62 auf 64 Jahre angehoben werden. Praktisch soll dies um jährlich drei Monate ab September 2023 geschehen und alle betreffen, die nach dem 1. September 1961 geboren sind. Um eine volle Rente zu beziehen, sollen die Beschäftigten in Zukunft über 43 Jahre eingezahlt haben. Wer 67 Jahre erreicht, soll unabhängig davon ein Anrecht auf Rente haben. Auch soll die Rente, nach Umsetzung der Reform, nie weniger als 85 % des Mindestlohns betragen. Unternehmer sollen über einen sogenannten Senioren-Index im Bezug auf die Integration älterer ArbeiterInnen kontrolliert werden können. Die neue Rentenreform soll außerdem den Schweregrad von Arbeitsplätzen berücksichtigen, wie zum Beispiel Nachtschichten und außerordentliche körperliche Anstrengung. Ein Fonds von einer Milliarde Euro soll bei Umschulungen helfen, falls die ArbeiterInnen zu sehr unter der Belastung eines bestimmten Berufs leiden.
Für die französischen Gewerkschaften ist die Rentenreform ein rotes Tuch. Es gibt eine traditionsreiche Fundamentalopposition gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters – in ihr wird keine Gerechtigkeit gesehen, etwa für diejenigen, die eine gestückelte Karriere haben, oft aufgrund reproduktivem Engagements. Schon zur Ankündigung der von Macron versprochenen und von der eisernen Premierministerin Borne am Dienstag ausgesprochenen Reform kündeten die ArbeitnehmerInnen-VertreterInnen folglich Proteste an.
Die Rentenreformen von 1993, 2003, 2010 und 2013 hatten zu massiven sozialen Bewegungen geführt, der letzte Versuch einer Reform scheiterte 2020. Hunderttausende Menschen beteiligten sich mit Streiks, Demos und Randale, doch der Widerstand erlosch im Schatten von Spaltung und Repression. Auch diesmal könnte die Mobilisierung größere Konturen annehmen. Neben hohen Energiepreisen, Steigerung der Lebenshaltungskosten und der ebenfalls anlaufenden Arbeitsmarktreform ist das Vertrauen gegenüber der Regierung angeschlagen. Die umstrittene Premierministerin Elisabeth Borne machte seit ihrem Amtsantritt im Sommer unsägliche 11 Mal vom Notstandsgesetz §49-3 Gebrauch. Dieses ermöglicht, die Debatte im Parlament zu unterbinden, um Gesetzestexte zur Not auch ohne demokratische Prozedur zu verabschieden – eine Praxis, die Macrons Umfeld mehr und mehr wie eine Oligarchie erscheinen lässt.
Während die Gelbwesten nach einer größeren Mobilisierung am 7. Januar nun wöchentlich gegen die Verachtung des Macron-Clans protestieren wollen und das linke Wahlbündnis France Insoumise für den 21. gegen Austerität nach Paris mobilisiert, debattieren sämtliche Gewerkschaften über Streiks und möglichen Widerstand. Ein erster Protest-Termin wurde festgelegt und die kommenden Wochen versprechen zahlreiche Auseinandersetzungen mit dem Thema in ganz Frankreich. Ein übergroßer Zusammenschluss der Gewerkschaften von CGT über CFDT und FO bis SUD ruft zunächst für Donnerstag, den 19. Januar, zur Großdemonstration nach Paris auf. Auch im Dreyeckland werden erste Proteste erwartet. (LS)