Replik: Pusteblume von Links

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Pusteblume von Links

Eine Replik von Andreas Reimann auf diesen Beitrag: https://rdl.de/beitrag/antisemitismus-vs-israelkritik

Dieser 'Versuch einer Klarstellung' von Redakteur Volker kann so nicht unwidersprochen stehen bleiben, denn von einer Klarstellung kann leider keine Rede sein. Volker kritisiert den Filmemacher Joachim Schroeder, der in einem RDL-Interview angeblich die Begriffe Antizionismus und Antisemitismus vermischt hat. Im guten Glauben an die schöne Welt der 'exakten' Begriffe reiht Volker (und eine weitere, ungenannte Stimme) eine terminologische Abgrenzung an die andere und klärt uns im sanft belehrenden Stil eines linken (?) Kinderprogramms über Antisemitismus und Antijudaismus oder 'Anti-Israel-Positionen' (!) und Israelkritik auf. Frei nach dem Motto: Kinder gebt fein acht, ich hab euch exakte Begriffe mitgebracht!
Schöne reine Begriffswelt? So sicher wie das Amen in der Kirche, so sicher ist 'exakt' immer auch eine Glaubensfrage! Jedenfalls ist es - wohlwollend gesagt - sehr naiv zu meinen, man könnte edel, hilfreich und ideologiefrei über Begriffe wie Antisemitismus oder 'Anti-Israelkritik' wikipedisieren. Oder soll dieser 'Versuch einer Klarstellung' letztlich nur der eigenen Ideologie im Stil einer paternalistischen Begriffsbelehrerei zur Deutungshoheit verhelfen? Die bitter nötige Diskussion über den Zusammenhang von Antisemitismus und Antizionismus wird jedenfalls als irrelevant betrachtet, weil diese Begriffe ja nicht 'vermischt' werden sollen - dabei musste die deutsche Linke in den letzten 25 Jahren gerade (und für viele schmerzhaft) lernen, dass sich hier einiges im eigenen linken Ideologiegebräu vermischt hatte und solche Diskussionen bitter nötig waren und sind - auch um den Preis des eigenen antiimperialistischen Weltbildes.  
Besonders ärgerlich ist aber, dass Volker alles andere als irgendwie 'exakt' mit den Begriffen umgeht, sondern sehr verkürzend: Moderner struktureller Antisemitismus kommt in der feinen Begriffsaufdröselung überhaupt nicht vor, Antijudaismus wird - man ist ja als Linker gegen alle Religionen kritisch eingestellt - aus der 'Konkurrenzsituation' zweier monotheistischer Religionen abgeleitet - haben die Juden womöglich doch eine Teilschuld am Antijudaismus der Christen? Und was bitte schön soll eine 'Anti-Israel-Position' anderes sein, als eine Ablehnung des Staates Israel? Und seit wann gilt die Leugnung des Existenzrechts Israel nicht mehr als Antisemitismus? Immerhin hat Volker (und die zweite Stimme) den Unterschied zwischen Anti-Israel-Position und Israelkritik in ihrer begrifflichen Laubsägearbeit dabei.
Sicherlich liefert der von Volker kritisierte Schroeder in dem Interview keine brillante und luzide Analyse zu Antizionismus und Antisemitismus ab - aber wenn er die von manchen Antizionist_innen praktizierte Gleichsetzung der israelischen Politik mit Faschismus als antisemitisch kritisiert, dann ist das ganz bestimmt keine unzulässige oder unexakte Vermischung von Begriffen. Ein besseres Beispiel für Antisemitismus kann Schroeder eigentlich gar nicht geben. In Volkers Beitrag wird dieses Beispiel im übrigen auch eingespielt - aber was will er damit belegen? Dass Schroeder damit schon zu weit gegangen ist?
Lieber Volker, statt sich auf 'Klarstellungen' zurückzuziehen (die reine Lehre) muss diskutiert werden.