Innenminister Gall ist noch immer damit beschäftigt, die Abschiebung der Familie Ametovic zu rechtfertigen. So bekräftigt er in einem Brief vom 12. Februar an die SPD-Fraktion im Freiburger Gemeinderat seine Version der Geschichte und macht dabei auch vor Anschuldigungen gegen das Jugendhilfswerk nicht halt. Die JHW-Geschäftsführung bezeichnet die Darstellung Galls als unhaltbar und hat bereits eine Stellungnahme angekündigt.
Gall reagiert mit seinem Schreiben auf einen Brief der Fraktionen der SPD und der Grünen, der auch vom übrigen Freiburger Gemeinderat unterstützt worden war. Die Gemeinderät_innen forderten darin den Innenminister auf, sich für eine Rückkehr der Familie Ametovic einzusetzen.
in seinem Antwortbrief weist Gall die Verantwortung für die Abschiebung von sich: Er könne sich „nicht über die bestehenden Regelungen und Gesetze und die Zuständigkeiten hinwegsetzen“, die nämlich des Bundesamtes für Migration, von Gerichten und dem Petitionsausschuss. Diese Aussage täuscht über die Handlungsspielräume des Innenministeriums hinweg. Tatsächlich entscheidet das Bundesamt für Migration über Asylanträge; Abschiebungshindernisse wie z.B. Krankheiten werden jedoch vom Regierungspräsidium Karlsruhe, d.h. einer der Landesregierung unterstellten Behörde bewertet. Der Petitionsausschuss des Landtags hatte die Petition für ein Bleiberecht der Familie zwar abgelehnt, doch es gehört deswegen noch lange nicht zu seinen Kompetenzen, eine Abschiebung zu verfügen. Vor Gericht schließlich ist der Fall noch gar nicht entschieden: Ein Verfahren um den Schutz der Familie vor „Gefahr für Leib und Leben“ war vor dem VG Freiburg noch anhängig, als die Abschiebung vollendete Tatsachen schuf.
So sicher scheint sich der Innenminister aber auch selbst nicht zu sein, dass die Verantwortung für das Schicksal der Familie nicht bei ihm liegt. Denn er verwendet einen Großteil seines Briefs auf den Versuch, den Vorwurf zu entkräften, die Familie sei ins Elend abgeschoben worden. Vielmehr sei ihr eine Wohnung und medizinische Unterstützung angeboten worden. Galls Argumentation stützt sich dabei vollständig auf einen Bericht des serbischen Innenministeriums vom 4. Februar. Dass dessen Angaben glaubwürdiger sein sollen als die der der Fachkräfte des Jugendhilfswerks, die sich die Situation vor Ort angesehen haben und die Aussagen der betroffenen Sadbera Ametovic selbst, bleibt eine unhinterfragte Prämisse. Fest steht: Die Mitarbeiterinnen des Jugendhilfswerks haben die Erfahrungen bei ihrem unangekündigten Besuch umfassend dokumentiert. Und Frau Ametovic hatte, wie das JHW bereits plausibel darlegte, angesichts ihrer Mittellosigkeit keinerlei Grund, ein akzeptables Unterstützungsangebot abzulehnen. Die angeblichen Angebote des serbischen Staates für die Familie kann Gall weder beweisen noch genauer spezifizieren. So konnte das Innenministerium auf Presseanfragen hin nicht näher benennen, wo die angeblich angebotene Unterkunft für die Familie hätte sein sollen. Zwei unabhängige NGOs gaben dem JHW gegenüber an, sie hielten es für ausgeschlossen, dass rückkehrenden Flüchtlingen eine Wohnung angeboten würde. Übrigens ist es bemerkenswert, dass Gall in seinem Brief irgendwelche ehemaligen Flüchtlingslager als mögliche Unterkünfte nennt. Offenbar hält er es zumutbar, dass serbischen Staatsangehörigen auf eigenem Territorium die freie Wahl ihres Wohnorts versagt wird – sie hätten dankbar sein müssen, irgendwo fernab von Nis untergebracht zu werden. Dieses Niveau der Debatte zeigt, welchen Wert die Freiheitsrechte einer Romni für den Innenminister haben.
Insbesondere seit der Einrichtung des visafreien Grenzübertritts in die Europäische Union wird die serbische Regierung von der EU unter Druck gesetzt, die Ausreise von Flüchtlingen zu bremsen. Die Folgen haben nichts mit einer Willkommenskultur für rückkehrende Flüchtlinge zu tun, wie z.B. die Serbien-Expertin Dr. Karin Waringo ausführlich dargelegt hat. Vielmehr hat die serbische Regierung diverse Pläne zur Kriminalisierung von Menschen vorgelegt, die ihre legale Ausreise dazu nutzen, in der EU Asylanträge zu stellen, oder die anderen dabei helfen. Bisher wurden diese Vorhaben noch nicht in geltendes Gesetz umgewandelt, die Haltung der Regierung ist jedoch offenkundig. Gleichzeitige Maßnahmen zur sozialen Sicherung kranken meist daran, dass die theoretischen Möglichkeiten und die praktische Erreichbarkeit von Angeboten weit auseinanderliegen. So formuliert Gall nicht zufällig, die medizinische Behandlung sei für Roma „grundsätzlich kostenfrei“. Studien der WHO und des Europaparlaments erkennen an, dass in der Praxis vielfach Geld für medizinische Behandlungen verlangt wird, zudem sind Medikamente kostenpflichtig. Ähnlich verhält es sich mit der Sozialhilfe, die ihrer Höhe nach ohnehin nicht ausreichend wäre. Neben Schikanen bei Behördengängen scheitert die Auszahlung an Roma oft an fehlenden Dokumenten. Fragwürdig ist der Hinweis Galls, die Familie erhalte „seit Mai 2013“ Sozialhilfe für ein Kind. Da die Familie zwischenzeitlich in Deutschland gelebt hat, wird sie die serbische Sozialhilfe zumindest in diesem Zeitraum wohl kaum erhalten haben. Doch das hindert weder die serbischen Behörden noch Gall, dies einfach zu behaupten.
Sie beide haben einen Ruf zu verlieren, es geht um den EU-Beitritt, um den Zusammenhalt der baden-württembergischen Regierungskoalition, in jedem Fall um politische Karrieren. Doch was sollte für Frau Ametovic auf dem Spiel stehen? Warum sollte sie ein reales Angebot sozialer Unterstützung ablehnen und dies dann bestreiten? Diese Frau faktisch der Lüge zu bezichtigen ist schäbig, da sie selbst keinerlei Möglichkeiten hat, sich gegen diesen Vorwurf zu wehren, erst recht nicht in Deutschland, das jetzt so fern liegt und wo ihre Stimme letztlich so wenig gilt wie in Serbien. Und es nimmt ein antiziganistisches Stereotyp auf.
Dokumente: Karin Waringo, Serbien... Serbien_kein_sicherer_Herkunftsstaat.pdf
(JW)